2020

Eine Ode an die Selbstkontrolle

03. April 2020, Quarantäneblock

Die Zeiten bleiben anders. Und das fordert von uns allen eine gewisse Standhaftigkeit. So haben sich inzwischen Rituale in die Isolation eingeschlichen, die wir liebgewonnen haben. Die meisten sind sozusagen systemrelevant, denn sie versüßen uns mehr oder minder die Standhaftigkeit, die die Isolation von uns abfordert. Ohne diese systemrelevanten, genaugenommen aber aus der Not geborenen süßen Rituale würden wir vermutlich im Lagerkoller ersticken.  

Viele kleine Rituale kann man bei Kolleg*innen während der zahlreichen täglichen Videokonferenzen beobachten. Da präsentiert die eine stolz die allgegenwärtige Jogginghose mit dem Hinweis, dass man sie gerne mal zuhause trage. Nun ist die Kollegin eine anerkannt sportliche, hat sich das am Hochaltar der deutschen Sports, der Deutschen Sporthochschule, akademisch absegnen lassen. Sie frönt einst ziemlich erfolgreich einem eher entlegenen Mannschaftssport zusammen mit ihrem Lebensgefährten, der kleine Sohn ist eifriger Kinderturnstundengänger und – obwohl noch zu jung – begeisterter Pennäler an der Heidelberger Ballschule. Nun kann die Kollegin froh sein, dass sie nicht nur sportlich, sondern eben eine Frau ist. Im Sinne modernen Genderings muss ich aber feststellen: Was für Männer gilt, gilt halt auch für Frauen. So finde ich schade, dass der Equal Pay Day vor zwei Wochen angesichts der anhaltenden Krise fast untergegangen ist, denn es kann nicht sein, dass Frauen durchschnittlich immer noch 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Im Umkehrschluss bedeutet es aber, dass die wohl geistreichste Äußerung des großartigen Philosoph Karl Lagerfeld zum Modeverhalten von Männern durchaus für alle Geschlechter gelten muss: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Der vor gut einem Jahr verstorbene Modezar war weitblickend. Zweifelsohne. Offensichtlich hatte er das, was wir alle gerade gerne haben würden, wenn wir auf die Entwicklungen der nächsten Wochen blicken wollen – eine Kristallkugel. Denn sein kategorischer Imperativ in Sachen Jogginghose sollte uns Home Officer*innen ein Handlungsdogma sein: Zieht euch ordentlich an, wenn ihr an einer Videokonferenz teilnehmt! Oder verbergt euer Beinkleid. Karl Lagerfeld und seine Anhänger danken es Euch. Und eine Jogginghose hat mit Sport nichts zu tun. Höchstens etwas mit Selbstkontrolle, gerade in Zeiten, in denen alles anders bleibt.


Betrachtungen von außerhalb

02. April 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Unser Blog mitsamt unserer persönlichen Erfahrungsberichte scheint nun auch die Grenzen des Hessischen Turnverbands überschritten zu haben. So wollen wir auch unserer eifrigen Leserin aus anderen Gefilden die Möglichkeit bieten, ihren Alltag zu teilen...

In meiner Autobauerstadt im Rhein-Main-Gebiet haben sich das Corona-Homeschooling (CHS) und das Corona Homeoffice (CHO) inzwischen eingespielt. Und – auch wenn ich zu Anfang meine Zweifel hatte – haben meine Kinder es geschafft, eine Struktur und einen geregelten Tagesablauf für sich zu finden.

Dabei zeigt sich, dass die aktuelle Situation nicht nur Nachteile hat. Durch die eigenverantwortliche Planung der schulischen Arbeitsaufträge, können meine Kinder nun ihren individuellen Lernvorlieben nachgehen, im Normalbetrieb undenkbar.

Seit meinem Eintritt ins CHO haben sich auch die kleinen Nickligkeiten gelegt, die in den ersten Tagen Homeschooling noch meine Kollegen im Büro genervt hatten, weil die „lieben Kleinen“ ihre Streitigkeiten via WhatsApp in unserer Familiengruppe austrugen, was meinen Schreibtisch dauerhaft vibrieren ließ. Nein, ich hätte das Telefon nicht lautlos stellen wollen, es hätten ja Notfälle jenseits eines leeren Nutella-Glases auftreten können.

Die mütterlichen Vorgaben, mindestens vier Stunden „Schule“ und eine Stunde Bewegung, lassen sich bei gutem Wetter besser umsetzen als in der Kälte der vergangenen Tage. Und jeden Tag bin ich dankbar für die Tatsache, einen eigenen Garten zu besitzen. Einen Garten, von dem die Nachbarn gerade wieder feststellten, dass er schon lange nicht mehr von so vielen unserer Familienmitglieder genutzt wurde. Gemeinsam oder allein.

In diesem Garten werden auch neuerdings Sportarten ausgeübt, die sicherlich niemals olympiatauglich werden oder solche, von denen ich hoffe, dass die Kinder nach Corona diese nicht im Verein betreiben wollen. Wie soll ich es meinen Kindern begreiflich machen, dass ein Volleyballnetz im wahren Leben doch höher ist als die gespannte Wäscheleine…

Im Gegensatz zum Wetterauer DIY-Fitnessraum habe ich unsere Treppe als Bewegungsquelle für mich entdeckt. Den Raum zum Arbeiten im Keller, die Kaffeemaschine im ersten Stock, das stellt sich mir die Frage, ob ich meinen Kaffeekonsum zugunsten der Bewegung einfach weiter nach oben schrauben sollte.

Dass der Mann im Haus nun Kurzarbeit hat, hat mir glücklicherweise den so oft gelesenen „neuen Kollegen“ erspart; von dem ich sicher bin, dass ich mit ihm aneinander gerasselt wäre. Nachdem er mir an seinen ersten Tag zu Hause einmal eine Tasse Kaffee brachte und dafür einen nichtverdienten Anpfiff kassierte, weil er mich um mein „Kaffee-Treppen-Workout“ brachte, hat er sich selbst in den Garten verbannt und mich mit Treppe und Kaffeemaschine allein gelassen.

Viele Grüße aus dem CHO!


Die Welt steht Kopf

02. April 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Systemrelevant - das Wort des Jahres?

Plötzlich ist alles anders – wir nehmen aufeinander Rücksicht. Auf die Menschen, die in unserer Leistungsgesellschaft zuvor untergegangen sind. Auf ältere Menschen. Auf die Menschen, die eine Erkrankung haben und auf Menschen, die einen harten, aber schlecht bezahlten Job machen. Pfleger*innen, Krankenhauspersonal, LKW Fahrer*innen, Verkäufer*innen, aber auch Polizist*innen, Erzieher*innen oder Lehrkräfte und viele mehr erhalten in diesen Zeiten eine ganz andere Anerkennung. Vielleicht geht das Wort "systemrelevant" nach 2020 in die Geschichte ein –  wer weiß das schon.

Auf einmal wird der Automatismus "schneller - besser - weiter", der in unserer Gesellschaft vorherrscht, gebrochen. Auf einmal entschleunigt sich diese Welt und wir werden gezwungen, unser aktuelles Weltbild zu hinterfragen. Es ist traurig, dass die Politik und Teile unserer Gesellschaft erst jetzt erkennen, worauf es wirklich ankommt. Dass die Unterbezahlung der oben genannten Berufsgruppen unberechtigt ist. In normalen Zeiten erhalten diese Menschen nicht die Sicherheit, das Einkommen und die Wertschätzung, die ihnen zustehen. Umso mehr berührt die aktuelle Dankbarkeit vieler Menschen für alle, die nun endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Durch Applaus an den Fenstern, durch Social Media Aktionen und durch ganz viel Wertschätzung. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Wertschätzung und Dankbarkeit in Zukunft auch auf dem Gehaltscheck der oben genannten Berufsgruppen widerspiegelt.

Und es funktioniert ja doch!

Die Menschen bleiben zuhause in ihren Wohnungen und schützen so andere - der Inbegriff von Solidarität. Denn es kann ja jeden treffen - auch unsere Oma, Mama oder Tochter, unseren Papa, Bruder oder Opa.

Es ist schön zu sehen, dass die Menschen füreinander da sind. Dass sie aufeinander aufpassen. Dass sich tausende Medizinstudierende zur Verfügung stellen, um zu helfen. Dass Jugendliche für Risikogruppen einkaufen gehen. Dass es Online-Bibliotheken, sowie -Sportangebote und Wohnzimmerkonzerte gibt.

Wir denken an andere und nicht nur an uns selbst. Vielleicht können wir aus der aktuellen Krise ja doch das ein oder andere für unsere Zukunft mitnehmen.

"We're all in this together"

Ja, die Welt steht Kopf - und wir halten zusammen!


Falls Netflix alle ist, ich weiß, wo es ist

27. März 2020, Ann-Kathrin Oberst - Quarantäneblock

Wenn ein Film- und Serienverrückter Netflix-Nutzer positiv auf das Coronavirus getestet wurde, ist das durchaus ein Szenario, welches man in Betracht ziehen könnte. Aber allen Netflix-Nutzenden kann Entwarnung gegeben werden, da falsch gedacht: Völlig symptomfrei und nur aufgrund Kontakt zu einer positiv getesteten Person überhaupt dem Test unterzogen, zeichnet sich im Jahr 2020 ein anderes Bild. Denn der Patient ist ja gar nicht krank (obwohl er ja eigentlich positiv getestet und damit krank ist, ziemlich paradox), sondern nur in häuslicher Quarantäne und arbeitet daher auch ganz brav, wie derzeit viele andere Millionen, aus dem Homeoffice. Und erfreute sich dabei (wie zumindest ich finde) bester Gesellschaft, denn natürlich hatte auch seine bessere Hälfte strenges Ausgehverbot.

Gute Gesellschaft habe ich übrigens nicht. Meine bessere Hälfte setzt sich nämlich nach wie vor täglich den Gefahren draußen in der Alsfelder Wildnis aus und tigert zur Arbeit. SYSTEMRELEVANT prangt auf dem Schreiben, dass er im Auto liegen hat. Nur für den Fall der Fälle, dass doch noch hektisch eine Ausgangssperre verhängt wird. Machen die anderen ja schließlich auch so. Irgendwie putzig findet er dieses Homeoffice, bei dem ich auch mal nachmittags aufstehe, „So, Feierabend“ sage, und mich erstmal kurzzeitig auf der Couch niederlasse.

Einsam und irgendwie langweilig ohne die Kolleg*innen finde ich es. Trotz Videokonferenzen. Es ist einfach nicht dasselbe, wie eine unserer Frühstücks- oder Mittagspausen im TZA mit allen um sich herum zu verbringen. Keine Witze, keine Sprüche und auch keine lehrreichen Infos zu den neuesten Unterhaltungssendungen im TV, von denen sie zwar meist niemand gesehen haben will, aber die ein oder andere Kollegin doch lebhaft darüber zu berichten weiß. Ich als Wenig-Fernseherin bin ja überhaupt nicht mehr up to date, welche Shows gerade laufen, in denen zum Beispiel Maskottchen Songs zum Besten geben (können wir da eigentlich auch mal Fino, Mala oder Lumi anmelden?). Das werden wohl lange Mittagspausen in der Zeit nach dem Homeoffice, um das alles nachzuholen…


Von Jahn bis Fonda: Bewegung muss sein

26. März 2020, Quarantäneblock

Es kommt so, wie es kommen musste. Nein, es hat sich keiner im Umfeld der hier Schreibenden mit dem Virus angesteckt. Gottseidank. Doch die Isolation bringt immer mehr Stilblüten zum Vorschein. Um es vorsichtig so zu nennen. Doch lassen sie mich von vorne anfangen. Schuld ist Jane Seymour Fonda. Ja, genau… eigentlich ist sie eine bewundernswerte Frau. Tochter eines Hollywood-Mega-Stars der 50er und 60er, einst Sexsymbol, heute Charakterdarstellerin und Bürgerrechts- sowie Klimaaktivistin. So gerne ich Frau Fonda heutzutage mag, ich kann diese Bilder nicht aus meinem Kopf bekommen. Gemeint ist natürlich nicht ihre Rolle als Barbarella in den 60ern, spärlich bekleidet mit tiefem Dekolletee sondern als Fitness-Queen der 80er. Als ich zum ersten Mal die Aerobic-Filme in einem der damals nur drei Programmen sah, war der Griff zur Fernbedienung die unaufgeregteste Reaktion, an die ich mich in diesem Zusammenhang erinnern kann. Schweißbänder auf der Stirn, Skinnys oder Leggins und dazu wöllerne Stulpen, die die Fesseln verhüllten, in Kombination mit einer hochtoupierten Locken-Dauerwelle.  

Um es kurz zu halten: Vor vierzig Jahren habe ich es mir geschworen – keine Aerobic. Auch wenn ich nach außen – aus professionellen Gründen sozusagen – immer so getan habe, als ob Aerobic in seinen unterschiedlichen Varianten (auch als Wettkampfsport), mit Brettern oder auf Matten, integraler Bestandteil der hochgeschätzten turnerisch-gymnastischen Bewegungsformen sei, die aus unserem Portfolio nicht mehr wegzudenken ist und ihre quasi-Erfinderin Jane Fonda mit Jahn und GutsMuths gleichzusetzen wäre – Aerobic habe ich immer verweigert. 

Weil derzeit nun alles anders ist (und in diesem Kontext hoffentlich nicht bleibt), kam es gestern Abend zu einem annalenhaften Bruch dieses Treueschwurs. Irrgeleitet durch vermeintlichen Bewegungsmangel konnte ich wie durch Zauberhand dem familiären Angebot eines Workouts nicht widerstehen. Beim Betreten unseres Fitness-Tempels schwante mir Ãœbles. Wie durch Geisterhand waren plötzlich Step-Bretter aufgetaucht, 80er Jahre-Mucke erfüllte den Raum. Eine Bewegungs-Entzugs-Trance, schnelle Rhythmen und gute Launen der Mit-Workouter führten mich zum verblieben leeren Stepper – und schon nahm die Sache ihren Lauf.  

Ich erspare jetzt den Leser*innen etwaige Details über meine koordinativen Mängel, aber am Ende war ich ordentlich außer Atem und beim Cool down musste ich feststellen, dass ich in einem solchen halben Stündchen schon schlechtere Sport-Angebote erleben durfte. Trotzdem: Es wird wieder wärmer und Rennradfahren fällt nicht unter das Kontaktverbot. Manches darf dann doch anders bleiben. 


Schule fürs Leben

25. März 2020, Quarantäneblock

Die gestern aufgeworfene Frage, wo denn der Sport bleibt in diesen Zeiten, in denen alles anders bleibt, hat mich gestern auf ganz anderem Wege eingeholt, nämlich beim Blick auf den Nachwuchs. Ja klar, unser Tempel der Fitness steht allen Mitbewohnern offen. Aber es ist halt eine eher individuelle Lösung, wo jeder stressbedingt am Boxsack den Kartenspielfrust loswerden kann oder ganz nach Plaisir den Stabi-Übungen oder den entspannenden Yoga-Übungen nachgeht.

Heute richtete sich beim gemeinsamen Frühstück die sportliche Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Schuld daran ist das Lehrerkollegium der Schule meiner Kids. Das verteilte nämlich per WhatsApp ein hübsches Motivations-Bild. Weltklasse. So weit. Nun entwickelte sich unser kleiner Exkurs zu den heute anstehenden (Video-)Lehrstunden bzw. Hausaufgaben, die irgendwie durch den digitalen Dschungel den Weg in unser friedfertiges Wetterauer Anwesen gefunden haben. Naja, das Übliche, könnte man nach einer Woche sagen: MINT-Fächer, Englisch, Deutsch, Französisch.

Die Versorgung mit Schulstoff ist sichergestellt. Sieht man von einer fast schon beiläufigen Ausnahme ab: Sportunterricht. Ich muss zugeben, da bin ich hyperempfindlich, weil ich schon lange den Verdacht hege, dass der Sport – wenn auch inzwischen sogar als Abiturfach zugänglich – hinter all den Fremdsprachen, MINT-Fächern ein Schattendasein fristet. Zumindest im vorherrschenden Bildungskanon. Sport ist immer das erste Fach, das ausfällt oder durch Fachfremde vertreten wird, die dritte Sport-Wochenstunde ist den Erlass nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Und die Krise offenbart die Wahrheit. So gut wie nirgendwo findet irgendwas in Richtung Schulfach Sport statt, wohin man auch hört. Chancen, gerade digitale, gibt es genug. Das beweisen uns die zahlreichen Online-Seminare, die gerade die Internetleitungen verstopfen. Wobei meine Fantasie in diesen Angelegenheiten tatsächlich sehr beschränkt ist. Da habe ich tatsächlich Gottvertrauen in die Kreativität der Kollegen Sportlehrer. Ich bin mir sicher, die würden sich so einiges einfallen lassen in Sachen Bewegungserziehung. Und die Schüler*innen hätten sicherlich Spaß an der Abwechslung in Zeiten, in denen alles anders ist.


Kopf hoch!

24. März 2020, Quarantäneblock

Wenn alles anders bleibt, wo bleibt dann der Sport? Das ist eine der meistgestellten Fragen bei denen, die berufsmäßig oder per Passion aktuell über die schönste Nebensache der Welt sinnieren. Bislang ist mir das in der Quarantäne nur bedingt gelungen. Schadensbegrenzung war bislang das Motto, und das auch nur intrafamiliär, also innerhalb der Isolation. Sozusagen beruflich wurde ich nun jedoch aufgefordert, auch mal den Kopf zu heben und Ã¼ber den Quarantäne-Tellerrand hinauszublicken. 

In diesem Ansinnen verstecken sich allerdings Tücken. Egal, wie ich es auch angehe, ich gerate in Sackgassen. Fangen wir mal den wenig bis gar nicht relevanten Dingen an: Social Media. Okay, inzwischen könne sie auch von uns lernen, wie sie sich in pandemischen Zeiten körperlich über Wasser halten, ist aber auch nur ein Pausenfüller (Entschuldigung, Kolleg*innen!). Hebt sich aber ab, gegen das, was man sonst so geboten bekommt… aber weiter! Fernsehen und Hörfunk. Nach einem kurzen Zucken der Vernunft kommen die üblichen Muster zum Vorschein. Reporter vor leeren Fußballstadien oder Bundesliga-Trainingsplätzen, die uns fünf Minuten sagen, dass weder sie noch die Bundesliga-Vereine noch ihre Manager irgendwas zu sagen haben, geschweige denn, irgendetwas anderes tun, als auf monetär extrem hohem Niveau zu jammern. Und weil ich ihnen meinen Informations-Dreiklang schon vorgestellt habe, ahnen Sie jetzt, dass ich meine Hoffnung in die Tageszeitung stecke. Aber auch gilt das gleiche: Nach kurzem Zucken…. 

Einzig die Frage, ob wir im Juli Olympia in Tokio erleben dürfen, ist noch offen, oder wird offen gehalten, damit wir weiter im Sumpf der fauligen Sportabstrusitäten weiterstochern dürfen und die Kolleg*innen weiterhin ihre schwefligen Standardphrasen aufblubbern lassen dürfen. Das war böse und eigentlich nicht so gemeint, denn die die Kolleg*innen in den nach wie vor offensichtlich gut funktionierenden Redaktionen ernten von meiner Seite den allergrößten Respekt, den alle verdienen, die in dieser Zeit hart schuften müssen und sich dazu noch der Gefahr einer Ansteckung aussetzen. Ihnen applaudiert keiner abends vom Balkon zu, hingegen flucht man gerne über sie (ich nehme die Worte am Beginn des Absatzes hiermit zurück!), freut sich aber über die Zerstreuung, die sie in Zeiten der Isolation bieten! 

Also von vorne: Wie geht’s weiter mit dem Sport? Keine Zeit mehr, ich muss zu meinen Workouts in unseren heimischen Fitness-Tempel. Wir wollen ja auch in dieser Zeit fit bleiben. Fit bleiben in Oberflächlichkeit, in Gewinn-Orientierung, in Individualismus. Ist während der Krise vielleicht schon wie nach der Krise oder vor der Krise? Mal sehen, denn es bleibt ja alles anders. 


Indiana Jones und der Tempel der Fitness

23. März 2020, Quarantäneblock

Hühnerfrikassee ist ja ein stiller Quell der Freude. Stille, oft einsame grüne Erbsen kämpfen sich zwischen zart-zerkleinerter Hühnerbrust an die Oberfläche einer hellen, mehlschwitzigen Sauce; dazu verteilt der heiße Basmatireis einen wundervollen Duft von Jasmin in der engen Küche einer übersichtlichen Drei-Raum-Wohnung im Zentrum einer ebenso kleinräumigen hessischen Universitätsstadt. Er empfiehlt sich schon vorab, der neue Kollege. Obwohl es mir dünkt, es fehlt an einer wichtigen Tugend, die man dieser Tage allenthalben anempfohlen bekommt - Struktur.

Überhaupt, so quillt es aus allen Kanälen: Verpassen sie ihren Tagen in Isolation eine verbindliche Struktur. Nun deuten nicht nur die allerorts aufgelassenen Kaffeetassen auf ein gewisses strukturelles Versagen hin, was allerdings in diesem Fall eher eine beziehungstherapeutische, nennen wir es einmal Fragestellung zu sein scheint. Eigentlich geht es ja um den Tagesablauf, den man mit sinnvollem in einer sinnvollen Reihenfolge füllen sollte, ohne dabei auf Sozialkontakte zurückzugreifen. Nun ja, hier wie dort, sieht es ja gar nicht so schlecht aus. Zumindest geht man regelmäßig seinem Tagwerk nach und auch die Nahrungsaufnahme scheint in wiederkehrenden gesichert, zudem noch in offensichtlich hochwertiger Qualität.

Bleibt nur noch die Frage, die sich an dieser Stelle einfach stellen muss: Was ist mit dem regelmäßigen Sport? Während in der Wetterau ernste Maßnahmen zur Eindämmung des E-Sports unternommen werden, rücken die täglichen, echten Leibesübungen zunehmend in den Vordergrund. Noch warten wir auf die Ertüchtigungsübungen, die uns von den HTV-Bildungsreferentinnen via YouTube versprochen wurden, doch die Vorbereitungen für das Familien-Fitness-Studio laufen seit Beginn des Wochenendes auf Hochtouren.*

Wohl dem, also, der noch einen (leider unbeheizten) Raum übrig hat. Landleben hat halt seine besonderen Reize. So holten wir heute den alten Ergometer aus dem Keller, sonst eher zum Zwecke des Campings angeschaffte Isomatten wurden verfrüht aus dem Winterschlaf geweckt und vergessen geglaubte BlackRolls ausgemottet. Die wahre Attraktion dürfte allerdings der Sensationsfund meines ältesten Sohns sein. Mit archäologischer Akribie befreite er seinen alten Boxsack aus den Tiefen eines Abstellraums (wie gesagt: Landleben hat seine Reize!) und rundete seine Ausgrabung mit dem aus der gleichen jungsteinzeitlichen Periode stammenden Boxhandschuhen ab. Unser Indiana Jones der Wetterauer Gegenwart machte sich – Seit an Seit mit dem Autor dieser Zeilen sofort an die Decken-Befestigung. Doch das Projekt konnte nicht abgeschlossen werden, denn die Tagesstruktur forderte ihr Tribut. 15 Uhr: Kaffee und Kuchen (Apfeltarte – vergesst das Hühnerfrikasse) und anschließend die gestern zitierte Streit-Patience. Zwei Gründe, das Fitness-Studio insgesamt und den Boxsack im Besondern in Betrieb zu nehmen. Ich habe natürlich beim Kartenspielen verloren.

 

*Anmerkung der Redaktion: Die versprochene Fitness-Video-Reihe gibt es seit Freitag auf der (nicht systemrelevanten) Facebook-Seite des HTV ;)


Der neue Kollege

20. März 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Nun lese ich als aufmerksame Kollegin seit drei Tagen den Blog und muss mich dazu auch mal zu Wort melden. Die Welt steht Kopf. Da sind wir uns wohl einig. Das Leben, wie man es so Tag ein, Tag aus kennt, macht gerade Pause. Hier herrscht Konsens.

Aber in den Beschreibungen des Kollegen aus der Wetterau kann ich mich nur bedingt wiederfinden. Nicht nur, dass mir als Stadtbewohnerin (beste Innenstadtlage in einer bekannten hessischen Universitätsstadt) das Kaffeetrinken im sonnigen Hof/Garten verwehrt bleibt – nein, der Lagerkoller in meiner Wohnung ist hier schon viel deutlicher zu spüren. Und das nach gerade mal einer Woche selbst auferlegter Quarantäne. Auf 65 Quadratmetern, verteilt auf zwei Zimmer, Küche, Bad geht man sich doch schon etwas mehr auf die Nerven als einem lieb ist. Die bessere Hälfte (und ich vermute, das „bessere“ in diesem Ausdruck werde ich mir in den kommenden Wochen immer mal wieder vor Augen halten müssen) hat einen anderen Rhythmus, eine andere Arbeitsweise, einen anderen Tagesablauf.

Dennoch teilen wir uns seit Montag ein Büro – aka unseren Küchentisch, belagert von zwei Computern, einem weiteren Bildschirm und zahlreichen Kaffeetassen. Dies hat zur Folge, dass er meine Kolleg*innen nun alle beim Namen kennt und sie anhand ihrer Stimme zuordnen kann. Einige von ihnen durften ihn auch schon mehrfach durchs Bild huschen sehen, wenn er sich während einer meiner Videokonferenzen zum Beispiel einen Kaffee machte („Du telefonierst mit Video? Wieso sagst du mir das nicht?“). Er ist also überall live dabei und gibt seinen Senf ab, was meinen Geduldsfaden am heutigen fünften Tag fast zum Reißen brachte. Er sieht die Dinge aber auch aus einer anderen Sicht und schlägt mir immer öfter auch sehr hilfreiche Sachen vor – Themen, Projekte, Herangehensweisen – und versteht vermutlich erst jetzt, was ich in meinem Job eigentlich wirklich mache. Das sind doch irgendwie sehr nette Nebeneffekte. Und außerdem sorgt er dafür, dass ich mich nicht von Cornflakes und Nudeln ernähren muss, sondern kocht und backt (heute gab es zum Mittagessen übrigens fanstatisches Hühnerfrikassee). Der neue Kollege ist also doch gar nicht so schlimm. Und wenn er jetzt noch lernt, seine Kaffeetassen nicht immer und überall rumstehen zu lassen, wird die Home-Office-Quarantäne-Zeit vielleicht doch erträglich. Denn wir werden – anders als der Kollege und seine Frau in der Wetterau – brav davon absehen, Zank-Kartenspiele zu spielen…


Kollateralschäden

20. März 2020, Quarantäneblock

Alles bleibt anders. Eine Woche dauert die Isolation inzwischen. Und ehrlich: Die Kollateralschäden sind bislang übersichtlich. Man darf sich wundern, was alles klappt, wenn die Kollegin*innen alle an einem Strang ziehen und die Familie sich Mühe gibt. Diese Faktoren, gepaart mit der Tatsache, in einem Haus mit Hof in einem Wetterauer Dorf zu wohnen, ließ bislang keinen Lagerkoller aufkommen. Zumal das Wetter bislang mitspielte. Doch nun ist erstmal Schluss mit Nachmittagskaffee in der Sonne und Rennradtouren. Denn es wird wieder kühler. Und trüber. Das könnte sich auf das Gemüt auswirken, so meine Befürchtungen, und die die bislang empfundene Gelassenheit vieler – auch aus den eigenen Reihen – in einen stärkeren Panik-Modus versetzen.  

Und der wiederum dürfte sich auch bei mir in den nächsten Tagen potenzieren – analog der Ansteckungszahlen, was aber wiederum nicht an diesen liegt. Denn der Familienfrieden befindet sich in Gefahr, auch wenn die Kurzweil für das nahende kalte Wochenende gesichert scheint. Meine Frau und ich haben uns nämlich vorgenommen, ab heute mittag eine alte, fast ins Vergessen geratene partnerschaftliche Tradition aufleben zu lassen. Nein, nicht das, was sie jetzt denken. Sondern: Die Rommee-Karten auszupacken und gegeneinander ein paar Spielchen â€žTake 5“ zu wagen. Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel für zwei Personen, das zwar mit dem harmlosen Namen des gleichlautenden Dave-Brubeck-Jazzklassikers (lohnt sich übrigens, auch mal wieder zu hören!) trägt. In Wahrheit handelt es jedoch sich um eine Streit- oder Zank-Patience, die ihren Klarnamen zurecht trägt. Denn nach ihrer Einführung in unseren Ehealltag (pikanterweise durch unsere Trauzeugin und beste Freundin) wurde schnell klar, dass es dem partnerschaftlichen Frieden eher zuträglich ist, wenn wir auf Dauer die Finger von diesem herrlich-kurzweiligen Kartenspielchen lassen. Oder anders: Weil ich immer gegen mein stoisches Gegenüber verliere, trug ich bereits ernste Verbrechensabsichten in mir. Ich weiß, das gehört eigentlich zum Familientherapeuten und nicht auf den Quarantäneblock. Aber wenn Kollateralschäden drohen…  

Jetzt wissen Sie also, was los sein könnte, wenn in den nächsten Tagen hier andere Autoren erscheinen sollten. Zumindest hat es aus aktueller Sicht nichts mit Covid-19 zu tun. Gottseidank.


Wenn die Welt sich anders dreht

19. März 2020, Quarantäneblock

Isolation bedeutet auf keinen Fall Stillstand. Die Welt dreht sich nämlich weiter. Nur irgendwie dreht sie sich anders. Im Arbeitsalltag dreht sie sich nun digital. Denn die Pandemie bedeutet gleichzeitig auch die Renaissance von Skype, Telkos und Vikos. Wohl dem, der sich einer stabilen und schnellen Internetleitung erfreuen kann. Notwendige Sozialkontaktvermeidung steht halt im Gegensatz zur Präsenz- und Sitzungskultur agiler Unternehmen. So treffen wir uns zu virtuellen Mitarbeitenden-Meetings, zeigen uns extrem diszipliniert und verwalten, was es noch zu verwalten gibt.  

Anders sieht es da bei meinem Sohn aus. Der schreibt heute seine erste schriftliche Abitur-Prüfung. Erstmal ein großes Lob, denn wie sich das für einen, der Sport-Abi macht (auch wenn heute English dran ist), gehört, fährt er die nötigen 8 Kilometer mit dem Rad zur Schule. Er weiß, das bringt den Kreislauf samt Stoffwechsel in Schwung. Was ihn dort erwartet, war schon gestern klar, als die Motivationsplakate gehängt und begutachtet wurden: Gespensterstimmung. Verlassene Schulgebäude, Klassenzimmer, denen der Geruch frischer Desinfektion anhaftet, und spärlich besetzte Prüfungsräume, überwacht von höflich distanzierten Lehrkörpern. Die Stimmung schwankt zwischen Erleichterung, die Vorbereitungen nicht nochmal aufnehmen, verlängern bzw. verschieben zu müssen, und Frustration, denn bereits jetzt steht fest: Es sollte der Sommer seines Lebens werden. Malle, Interrail, Abiball, Feiern ohne Ende. Was davon bleiben wird? Man wird sehen, vermutlich aber nicht so viel. Die Welt dreht sich derzeit halt irgendwie anders. 


Systemrelevant

18. März 2020, Quarantäneblock

Um es gleich klar zu haben. Ich bin nicht in Quarantäne. Zumindest nicht aus infektiösen Gründen. Aber mein Kopf kommt sich so vor. Spätestens seit heute früh. Denn der Kiosk hat heute nicht mehr aufgemacht. Er ist nämlich nicht systemrelevant. Das wiederum hatte zur Folge, dass ich mich fragte, was überhaupt systemrelevant ist. Und weil man ja neuerdings seine Zeit anders disponiert als gewohnt, kann man ganz wunderbar über relevante Dinge nachdenken (was sie von nun an fast täglich an dieser Stelle verfolgen können, was ich schon jetzt androhen kann!).  

Nach fünf Tagen in diesem Zustand bin ich mir schonmal in einem sicher: Social Media sind nicht systemrelevant, sie sind genau genommen überhaupt nicht relevant. Ich habe noch nie so wenig Whatsapp geschrieben und bekommen wie in den letzten Tagen und ich habe noch nie so viel Schwachsinn auf Facebook, Instagram und Co. zur Kenntnis nehmen müssen, wie in den letzten Tagen (Selbsttest: Atmen sie im Kopfstand, und wenn sie husten müssen, haben sie Corona!). Also besinne ich mich auf die guten alten Nachrichtenversorger: Tagesschau fürs große Ganze, Hessenschau für das, was es im schönsten aller Bundesländer zu berichten gibt, und die lokale Tageszeitung für Neues rund um den Schornstein.  

Doch genau an dieser Stelle wird ein Schu(h) draus. Wenn Kiosk zu - keine Zeitung für Nahinfos. Denn ich gebe zu, dass ich keine Tageszeitungsabonnent mehr bin. Nun fällt meine systemrelevante Zeitungsversorgungsstation aber aus dem System, was mich wiederum dazu zwingt, längere Wege in Kauf nehmen zu müssen und damit möglicherweise eine höhere Sozialkontaktdichte zu generieren mit Menschen, die auch auf der Zeitungssuche sind.  

Eine schwierige Gemengelage. Wie gut, dass meine kleine Bäckerei-Filiale einspringt und nun auch Gedrucktes feilbietet. Kürzlich in den Räumlichkeiten unseres früheren Nahversorgers (bis zum 1. Januar war’s nämlich noch eine Tankstelle!) eröffnet, ist sie in Sachen Systemrelevanz von sofort an überhaupt nicht mehr aus meinem Isolationsleben wegzudenken. Und meine Familie freut’s, denn von nun an gibt es jeden Morgen frische Brötchen. Zumal sich der nach mir kommende ältere Herr als echter Gentleman erwies, freundlich Abstand von drei Metern hielt. Auch er hat wohl schon über Systemrelevanz nachgedacht.


Auf dem Müllhaufen der Geschichte

10. März 2020, Innenleben

Der Schock sitzt tief. Denn eigentlich ist Fabian Hambüchen immer noch der hessische Turnheld schlechthin. Sein Reck-Gold ist nicht einmal vier Jahre her, sein Rücktritt gerade mal drei. Und dann muss ich so etwas sehen. Bislang dachte ich immer, Werte werden beim Turnen großgeschrieben. Ein solcher Wert ist natürlich die Wertschätzung (wie der Namen ja verrät) – im Zweifelsfall auf mindestens Lebenszeit, wenn die Verdienste um das Turnen große sind.

Umso tiefer sitzt der Schock ob des Anblicks. Unser Held von Rio – auf dem Abfallhaufen der Geschichte. Das hat er nun wirklich nicht verdient, liebe Kolleg*innen vom Deutschen Turner-Bund. Manchmal ist es ja nötig zu entrümpeln. Aber bitte: Gönnt doch unseren hessischen Helden ein wenig mehr Halbwertzeit. Zumal wir selbst beim Blick in die Turnhallen der Republik keine solche Lichtgestalt am Turnerhimmel erkennen können. Aber bis Tokio kann sich ja noch einiges tun, wovon wir uns dann bei der Olympia-Quali am 20. Juni hier in Frankfurt überzeugen können. Ob wir da allerdings auf die sachkundigen Kommentare von Fabian Hambüchen bei der Live-Übertragung zählen können? Ich finde, Zweifel sind angebracht…


Die Sucht der Anderen geht auch uns an

20. Februar 2020, Innenleben

Zurück aus der Versenkung. Mit einem heiklen Thema: Sucht. Das weisen wir gerne von uns. Der Autor besonders gerne, denn er ist ganz stolz auf 38 Jahre ohne jeglichen Alkohol und null Drogen. Toll, gell! Dafür hakt es an anderer Stelle, die wir an dieser Stelle aussparen wollen. Aber es hakt bei uns allen an bestimmten (Sucht)Stellen, auch wenn wir es manchmal nicht wahrhaben wollen. Vermeintlich verschont blieb der Sport, gerade unser beschaulicher Turnvereinssport bisweilen, so dachte ich immer. Na klar, der Sport selbst kann zur Sucht führen: Mit gesteigerten Adrenalin-Kicks zum Lauf-Junkie. Davon hat man schon gelesen, das gehört aber zu den Leichtathleten und damit nicht in unseren Beritt, denn Bodenturn-Süchtige sind mir bislang nicht untergekommen. Gibt es vielleicht aber auch, was deshalb nicht ins Lächerliche gezogen werden sollte.

Ganz und gar nicht lächerlich ist da eine Meldung, die aus dem Ruhrgebiet auf meinen Schreibtisch schwappt. Immer mehr Wettsüchtige durch Sportwetten. Und darunter sind immer mehr junge Menschen, die online wetten, so die Suchtberatung in Dortmund. Trifft uns nicht, denkt der Turner, lehnt sich genüsslich zurück und deutet auf die Fußballer. Stimmt leider nur bedingt. Denn, siehe da, man kann auch auf die finnische Bandy-Liga (ein klarer Fall für wikipedia, liebe Leser!), internationale Schachturniere und Turn-Wettkämpfe wetten.

Ich muss zugeben, dass mir dieses Terrain noch fremder ist als Alkohol und Drogen, denn diese Dinge hake ich getrost als Jugendsünde ab. So habe ich tatsächlich zum ersten Mal nach 25 Jahren Internet-Nutzung einige einschlägige Wettseiten angesteuert, deren Klickzahlen übrigens regelmäßig in den Website-Hitlisten ziemlich weit vorne notiert werden. Ging bislang völlig an mir vorbei, hat sich aber gerade geändert.

Gepaart mit einer bitteren Erkenntnis: Wir alle profitieren irgendwie von der Sucht der Anderen. Denn wo kam doch gleich das Geld für die langlebeigen Turngeräte her, die der Lsbh ausschüttet, oder die Übungsleiter-Zuschüsse? Genau: aus Lotto-Mitteln! Wobei man zugeben muss, dass der Vergleich ein wenig hinkt, denn deren Geschäft ist wenig online-basiert, deutlich verantwortungsbewusster und bezieht sich nicht auf Sportwetten. Aber die 20 Prozent, die der schleswig-holsteinische Fiskus von den Online-Anbietern kassiert, kommen sicher auf der anderen Seite auch dem Gemeinwohl Sport zugute. Das stimmt nachdenklich.


Chinesische Schummler schaden vor allem der Natur

25. Oktober 2019, Innenleben

Jetzt ist aber genug über Bälle geschrieben worden. Finde ich. Zeit sich den wirklichen ernsten Themen in Turnen und Sport zuzuwenden. Nehmen wir den Orientierungslauf. Der blüht ja hierzulande trotz seines Mauerblümchen-Daseins mehr oder minder bunt. Ja, unsere hessischen Orientierungsläufer*innen wissen mit Erfolg innerhalb des schönsten aller Bundesländer, aber auch außerhalb und sogar auf internationalem Parkett zu gefallen. Und das, obwohl der OL andernorts alles andere als eine Randsportart ist. Besonders in Skandinavien. Logisch: In den endlosen Wäldern Finnlands, der unberührten Fjäll-Landschaft Schwedens oder im norwegischen Naturpark Hadanger Vidda mangelt es verständlicherweise an geeigneten Jogging-Pfaden, so wie wir es aus dem Taunus oder dem Frankfurter Stadtwald gewohnt sind. Skandinavier an sich sind also von Natur aus, quasi genetisch-geographisch, gezwungen, insofern sie läuferisch ambitioniert sind, sich in der Wildnis zu orientieren. Also wird der skandinavische Mann oder die skandinavische Frau Orientierungsläufer.

Ganz anders schien mir das in China. Zumindest bislang. Auch wenn das Reich der Mitte etwa 250mal größer ist als der Zwergstaat Norwegen, kommt man dort mit 145 Einwohnern pro km² auf einen elfmal höheren Quotienten als die Wikinger (13 Menschen pro km²). Die Bevölkerungsdichte ist also hoch. Da wird das Mauerblümchen Orientierungslauf also gerne mal übersehen - dachte ich. Zumal mir die weniger erschlossenen Landschaften der Volkrepublik als OL-Terrain weniger geeignet scheinen – man denke nur an die Wüste Gobi.

Alles grobe Unkenntnis. Denn in China scheint Orientierungslauf eine richtig große Nummer zu sein. Wie sonst lässt sich diese Meldung sonst erklären? „Geheime Pfade und Markierungen: Chinesen schummeln beim Orientierungslauf“, derer ich gerade habhaft wurde. Klar, dass die Volksrepublik als große, breitaufgestellte Sportnation sicherlich ein guter Gastgeber der Militärweltspiele ist. Und natürlich spielt der Orientierungslauf im soldatischen Sportlerleben eine größere Rolle als im zivilen. Aber so was: Pfade durch den chinesischen Wald fräsen und damit den Lebensraum der Pandas zerstören; oder Zuschauer postieren, die Tipps zurufen. Ja, die Kollegen der Deutschen Presse Agentur haben recht: Den chinesischen Ausrichtern scheint der „moralische Kompass verloren gegangen“ zu sein. Aber wenigstens hat es der Orientierungslauf wieder einmal in die Schlagzeilen gebracht. Und das hat dieser wunderbare Natursport wirklich verdient.

 


Schreiben ist Silber, Lesen ist Gold

11. Oktober 2019, Innenleben

Zwischen Urlaub und Fortbildung nehme ich den Fehdehandschuh gerne auf, der mir aus der HTV-Außenstelle im Vogelsberg zugeworfen wurde. Für so etwas muss einfach Zeit sein. Erst einmal bedarf es wohl einer Klarstellung. Nichts geht über Bälle. Und zwar jene in runder, meist elastischer, gerne auch in elliptischer Form. Egal ob geworfen, gekickt, in der Luft gehalten. Ball geht immer. Ballspiele versprechen Spannung, natürlich besonders bei Rückschlagspielen (jaja, der Volleyball). Soweit so gut, sieht man von einer Ausnahme ab. Das ist natürlich der Fußball, der natürlich totgeredet, totübertragen und totgeschrieben ist. Dieses Spiel ist grundsätzlich langweilig – und zwar im besten Sinne, weil in viel zu langer Zeit viel zu wenig passiert. Außerdem ist es mir zu einfach gestrickt, ehrlich gesagt zu banal und ich unterstelle diesem Spiel und seinen Akteuren das, was man den Handballern nach der WM 2007 unterstellte: Es sei der Sport der Provinz. Aber das alles ist aber an dieser Stelle hinreichend beleuchtet worden (Lesen hilft!).

Denn derzeit schwelge ich frühmorgendlich im Rugby-Fieber, zum Frühstücksfernsehen gibt’s die WM in Japan. Und mein Team, France XV, hat sich am vergangenen Sonntag eine epische, unfassbar spannende Schlacht mit Tonga geliefert, am Ende knapp gewonnen und zählt damit zu den Titelfavoriten. Aber auch dies wurde hier bereits in geschriebener Form angedeutet.

Dabei will ich ehrlich bleiben. Ich finde die Rugby-WM bei weitem spannender als die unsere Konkurrenz-Veranstaltung in Stuttgart. Da kommen nämlich gar keine Bälle vor. Das ist nachteilig. Auch wenn es unser DTB-Männer-Team wirklich spannend gemacht hat und gerade noch so das Olympia-Ticket lösen konnte. Daher glaube ich auch, dass so ein Ball dem Turnen guttun würde.

Kommen wir also zum anderen Ball. Es mag ja sein, dass der eine oder andere so eine Veranstaltung spannend oder gar verführerisch findet. Ich nicht. Auch nicht wenn es dabei um den Sport geht. Das liegt vor allem an zwei Dingen: Erstens muss ich meinen Hals unter eine Krawatte oder eine Fliege zwängen und zweitens muss ich tanzen. Womöglich mit meiner Frau. Das mag für andere unterhaltsam sein – angesichts von exakt 43 Zentimetern Größenunterschied zwischen uns beiden nebst meiner angeborenen Begabung, Schrittfolgen garantiert völlig anders zu interpretieren als der Takt es vorgibt. Ich finde es (übrigens ganz zum Bedauern meiner Gemahlin) eher wenig unterhaltsam und spende den Charity-Beitrag lieber direkt an Journalisten ohne Grenzen und verbringe den Abend mit einer geistreichen Lektüre. Denn Lesen ist Gold und steht auf meinem Siegertreppchen ganz weit oben, Frau Kollegin.


Bälle sind nicht für jeden was! - von Ann-Kathrin Bender

27. September 2019, Hessischer Turnverband - Innenleben

Mein Kollege zum Beispiel hat eine ganz klare Abneigung gegen Bälle, das wird immer wieder deutlich! Das gilt sowohl für die Form, die vom Duden beschrieben wird als „kugelförmiger, gewöhnlich mit Luft gefüllter [elastischer] Gegenstand, der als Spielzeug oder Sportgerät verwendet wird“ (ok, ok, der Volleyball ist von der Abneigung ausgenommen) als auch für die zweite Definition, die im Duden geschrieben steht: „größere [festliche] Tanzveranstaltung“. Während der erste „Ball“ aus dem mittelhochdeutschen kommt, leitet sich Letzterer aus dem Lateinischen von ballare = tanzen ab.

Der „Ball“ ist also ein ganz und gar sportliches Wort, wenngleich die Bedeutungen doch sehr verschieden und für viele gedanklich nur sehr schwer unter einen Hut zu bringen sind. Tanzen und Ball spielen. Aber man schaue sich nur mal die rhythmischen Sportgymnastinnen an, die dem Ball gleich eine ganze Disziplin widmen und deren Präsentationen â€ždurch tänzerische und akrobatische Elemente gekennzeichnet“ sind, wie der DTB auf seiner Webseite schreibt. Tanz und Ball also in einem harmonischen Einklang. Und überhaupt: Wurde nicht sogar manch Fußballer als der, „der mit dem Ball tanzt“ (ich glaube, Mario Götze, Ronaldinho und Mesut Özil waren darunter) beschrieben? Ball ist also eigentlich ein überaus verbindendes Wort!

Verbunden hat es kürzlich bereits zum 18. Mal auch jede Menge Sportler: Denn bei der Olympischen BALLnacht des Landessportbundes Hessen trafen sich Sportler aus den unterschiedlichsten Sportarten und verbrachten einen festlichen Abend miteinander. Gekürt wurden dort unter anderem auch Hessens Sportler des Jahres, Sarah Köhler (Schwimmen) und Stephan Leyhe (Skispringen) und die Sportschützin Natascha Hiltrop in der Kategorie Sportler mit Behinderung. Übrigens dotiert mit (meiner Ansicht nach viel zu geringen) 1000 € und umrahmt durch vorwiegend akrobatisch-tänzerische Darbietungen.

Ich halte die Olympische Ballnacht für eine tolle Veranstaltung, die Ballsportler mit Tänzern, Schwimmer mit Skispringern und viele andere Sportler und Sportarten zusammenbringt. Und ganz nebenbei dient die Sache auch noch einem guten Zweck: Die Erlöse aus einer groß angelegten Tombola gehen an die Stiftung Sporthilfe Hessen. Der Gewinner des diesjährigen Hauptpreises wird übrigens noch gesucht, da er sich bisher nicht gemeldet hat: Alle, die ein noch nicht eingelöstes Gewinnlos der Farbe Blau, besitzen, könnten es sein. (Da fällt mir ein, dass ich wohl die Kollegin, die vor Ort war und bestimmt ein Los gekauft hat, wohl nochmal anstupsen muss, in allen Taschen zu suchen.)

Während der Frankfurter Kollege nichts von „größeren [festlichen] Tanzveranstaltungen“ hält, bei denen man sich auch noch schick anzieht und in Kleid und Anzug flaniert, ist die Alsfelder Kollegin begeistert und verkündet: „Ich gehe gerne auf Bälle!“ Und wenn es um den Ball in runder Form (ok, von mir aus auch in eiförmiger Variante, obwohl es dann rein definitorisch kein Ball ist) geht, sind wir uns alle wieder einig, dass der Ball an sich doch eine ganz gute Sache ist (schließlich gehören zu den Turnern auch die Faust- und (Zweier-)Prellballer). Zumindest, solange es nicht um Fußbälle geht. Also sind Bälle doch (fast) für jeden etwas!


Turnen und Rugby, zwei Seelenverwandte im Wahrnehmungs-Nirvana

24. September 2019, Innenleben

Immer wieder bewegt einen Schreiber die Frage, was den Leser wohl bewegen mag. Oder andersherum, fragt sich der Schreiber, ob die Themen, die ihn bewegen auch (in diesem Fall ganz konkret) auch den Leser des Turn-Blogs bewegt. Schneller Konsens ist gefunden, wenn es zum Beispiel um die Radwende oder Rondat geht. Solche Kunstformen der Bewegung suchen natürlich ihresgleichen, sind quasi unvergleichlich, aber dennoch nicht konkurrenzlos, sollten an dieser Stelle aber umso mehr auf großes Interesse stoßen. Denn ausgerechnet parallel zur Heim-WM unserer Turn Teams in Stuttgart findet auch die Weltmeisterschaft im Rugby statt. Okay, die Titelkämpfe im Vergleich zum Turnen eher zweikampfbetonten Mannschaftslaufspiel, bei dem der Raumgewinn im Vordergrund steht – wohingegen es beim Turnen ja eher um die Raumnutzung geht. Diesen Raumgewinn erprobt man auf höchstem Niveau ausgerechnet im weit entfernten, aber für seine Enge bekannten Japan.

Doch trotz aller Gegensätze: Die beiden gar so unterschiedlichen Sportarten sind eigentlich Seelenverwandte. Denn Rugby ist – wenn auch von anderer Provenienz – fast genauso alt wie das Turnen, der Legende nach wurde es in der eponymen englischen Stadt 1823 zum ersten Mal gespielt, also kaum 10 Jahre nachdem Jahn seinen berühmten Platz auf der Hasenheide in Betrieb nahm. Doch Hochbetagung allein soll noch kein Indiz für Seelenverwandtschaft sein. Das stimmt so weit. Die interessanten Parallelen liegen – wie könnte es auch anders sein – in der Gegenwart. Denn während in rund zwei Wochen die Turner in Stuttgart ihre Räder wenden und in Tokio hartgesottene Kerle den Rasen umpflügen, um Raum zu gewinnen, machen die Deutschen das, was sie immer machen. Sie schauen Fußball und nehmen weder die Eleganz in Schwaben noch die rückwärtsgewandten Pässe des Ellipsoids (so nennen Geometrielehrer das eigenartige Rugby-Ei) im Land der aufgehenden Sonne zur Kenntnis. Und das ist für beide Anlässe schade.

Dabei hätten beide viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Und zwar jeder auf seine Art. Da wäre zum Beispiel die Massenwirksamkeit. Denn die beiden Seelenverwandten sind an Spektakulärem nicht zu übertreffen. Schauen Sie sich alleine die Flugeinlagen an. Weltklasse. In anderen Ländern hat man das schon verstanden, beim Rugby umso mehr. So dürfte sich das WM-Endspiel am 2. November durchaus über eine Milliarde Zuschauer weltweit freuen. Immerhin, es handelt sich ja um die größte Sportveranstaltung des laufenden Jahres. An diesem Punkt hinkt das Turnen ein wenig hinterher, das muss ich leider feststellen. Denn die Turn-WM Als Straßenfeger in Tonga, Neuseeland oder auf den Fidschis zu bezeichnen, wäre vermessen. Dennoch: Das Potenzial ist da, die Turnbewegung steht auch international gut da, erfreut sich weiter Verbreitung. Und sie hat einen Trumpf, den sie noch nicht wirklich ausspielt: Hier messen sich beide Geschlechter. Nicht, dass es kein Frauen-Rugby gäbe. Aber das findet bislang wenig öffentlich Interesse - was schon sehr vorsichtig formuliert ist. Aktuell sind es aber die Turnerinnen, die mit ihren Salti und Schrauben die Sportwelt aufhorchen (siehe schubloggt vom 12. August). Aber auch in Stuttgart werden sie sich wieder einsortieren müssen. Zusammen mit den Rugby-Herren. Irgendwo im Wahrnehmungs-Nirvana unterhalb des deutschen Fußball-Horizonts. Schade.


Der Kassenwart, eine Zierde für unsere Gesellschaft

19. September 2019, Innenleben

Fast ist sie schon wieder vorüber, die Woche des Bürgerschaftlichen Engagements. Wäre sie nicht im einen oder anderen Organ des deutschen Sports erwähnt worden, wäre sie wohl ganz an mir (und vermutlich auch an den meisten) vorübergegangen. Dabei haben doch solche Wochen etwas Gutes an sich. Sie werden medial ordentlich geritten, was zur Folge hat, dass man über das eine oder andere Thema mal intensiver nachdenkt. Als Klassiker fällt mir da die Woche der Brüderlichkeit ein, die einen willkommenen Anlass darstellt, über das christlich-jüdische Zusammenleben in unserem Lande nachzudenken. Angesichts des grassierenden Antisemitismus dürfte das wohl topaktuell sein.

Jetzt also die Engagementswoche. Und nun, bei der 14. Auflage (sie glauben gar nicht, wie lange ich googeln musste, um das herauszubekommen), tritt der Sport aus dem Schatten. Obwohl der Sport ein unfassbar großes Engagement-Feld in diesem Lande darstellt, war er in diesem Kontext kaum wahrzunehmen. Das Feld ist vielmehr von den Klassikern beherrscht, nämlich Kultur und Naturschutz. Mit den ihnen eigenen Stilblüten. Die finden sich im Engagementskalender auf der Homepage unserer Feierwoche: „Musik lieg in der Luft“ (gemeint ist wohl nicht Peter Frankenfeld, sondern Waiblingen) oder „Berühmte Pflanzen erzählen“ (ich bin gespannt auf den Duktus).

Dazwischen mogelt sich seit neuestem auch der Sport. Vertreten nach außen (bzw. auf der Homepage der Engagementswoche) durch den DOSB. Der nutzt die Chance (zu Recht!) auf die Vielfalt, aber auch die Breite und Quantität des Engagements in den 90.000 deutschen Sportvereinen hinzuweisen.

Nun soll an dieser Stelle keine Bewertung vorgenommen, ob das bürgerschaftliche Engagement in einem Sport- oder am liebsten sogar noch in einem Turnverein ein besseres ist, als in einer Tafel, Seniorenbetreuung, Arbeitsloseninitiative, einer Kultureinrichtung, in der Kirche oder bei der Hilfe für Migranten. Das wäre vermessen. Im Gegenteil; jede Form des bürgerschaftlichen Engagements ist eine Zierde für unsere Gesellschaft. Übrigens auch das in (demokratischen) Parteien, das wird heute gerne mal vergessen oder ins Gegenteil verkehrt. Denn ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen fördert den Zusammenhalt und damit unsere Demokratie.

Soweit, so gut. Weithin ausgeblendet blieb in diesem Engagement-Förder-Trubel bislang der Sport. Das ist unverständlich, mag aber auch an uns selbst liegen. Denn der Sport ist ein in sich geschlossenes System mit eigenen Regeln, eigener Gerichtsbarkeit und eigener innerer Organisation, gleichsam ein wenig Staat im Staat. Oder ganz banal: Wer nicht Badminton spielt, wird auch nicht in einen Badmintonverein gehen. Stimmt aber nicht ganz. Denn neben dem sportlichen Erfolg gibt es auch noch zwei Triebfedern, sich bürgerschaftlich im Sport zu engagieren. Denn einerseits gilt es, in einem demokratisch bestimmten Gremium, die Rahmenbedingungen für den Sport vor Ort herzustellen. Zum anderen gibt es neben dem klassischen Wettbewerb im Sport auch das, was wir Breiten-, Freizeit und Gesundheitssport nennen. Das ist nun wirklich Altruismus pur. Wer weiß das besser, als wir Turner.

Vor diesem Hintergrund sind Überschriften wie „Sport und Engagement“ überflüssig wie ein Kropf. Denn hierzulande funktioniert das System Sport nach wie vor nur auf eine Weise – engagiert. Fragen sie doch mal den Kassenwart ihres Turnvereins!

 


Sport verbindet – wirklich!

12. September 2019, Innenleben

Gestern habe ich Shaul Ladany kennengelernt. Nicht persönlich, sondern im Pressedienst des Deutschen Olympischen Sportbundes, der jeden Mittwoch die heiligen Turnhallen erreicht. Wobei ich sagen muss, dass ich ihn gerne kennenlernen würde. Denn bei Shaul Ladany handelt es sich um eine wirklich bemerkenswerteste Persönlichkeit, von denen ich je im Sport hörte. Er ist nicht nur ein guter Geher, der an zwei Olympischen Spielen teilnahm (1968 und 1972) - vor einigen Monaten absolvierte er einen Halbmarathon in Budapest. Mit etwas mehr als 80 Jahren fast schon nichts Außergewöhnliches mehr, wäre er nicht bei den European Makkabi Games im schwarz-rot-goldenen Trikot gestartet. Shaul Ladany wurde nämlich 1944, im Alter von acht Jahren, aus seiner ungarischen Heimat ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Er gehörte zu den wenigen jüdischen Häftlingen, die aufgrund von Verhandlungen ungarischer und schweizerischer jüdischer Organisationen mit der SS gerettet wurden und im Dezember 1944 in die Schweiz ausreisen durften. Später wanderte er nach Israel aus. Und kehrte 1972 zurück nach Deutschland. Zu den Olympischen Spielen nach München. Dort überlebte er nur knapp den Anschlag palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft.

Seit ein paar Tagen ist das papierene Vermächtnis in Bergen-Belsen zu sehen und macht das Grauen der NS-Zeit für Besucher*innen begreifbarer, persönlicher. Shaul Ladany selbst war bei der Eröffnung vor Ort. Bei ihrer Ansprache hat DOSB-Vize Uschi Schmitz die richtigen Worte gefunden, die an dieser Stelle für sich stehen sollen: Danke, dass Sie dieser Weg immer wieder auch zu uns führt. Und so nehme ich zwei Bilder mit aus dieser Veranstaltung: Sie hier unter uns, und Sie mit dem deutschen Trikot in Budapest. Und das nach allem, was geschehen ist. Wir sagen so oft, dass uns Sport verbindet. Er tut dies wirklich und wahrhaftig.


Wir sind die Guten und wollen es auch bleiben!

04. September 2019, Innenleben

Eigentlich gibt es so etwas wie einen ungeschriebenen Codex, dass ich mich an dieser Stelle aus der Politik heraushalte. Zumindest soweit es nicht um Sportpolitik im engeren und vielleicht auch weiteren Sinne geht. Denn allein dieses Politikfeld bietet ja genug Spielraum, sich zu ereifern, zu lästern und mahnend den Finger zu heben. Aber wenn die Grundwerte und der offen-demokratische Konsens verlassen wird, in dem wir alle uns im Sport (und der daraus resultierenden Sportpolitik) bewegen, ins Wackeln gerät, dann gilt mein alter Lieblings-Brecht-Spruch umso mehr: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht".

Zudem hatte ich mir bislang eine Art Schweige-Gelübde auferlegt - unter dem Motto: "Nicht öffentlich über die rechten Idioten reden, denn alleine damit nimmt man sie viel zu ernst." Zumal wir hier, im schönsten aller Bundesländer, von den menschenverachtenden, undemokratischen und rassistischen Umtrieben gerade im Sport weitestgehend verschont blieben. Aber: Das ist falsch.

Nicht weit von uns nimmt nämlich das Unheil auch im Sport seinen Lauf. So sei an dieser Stelle an einen etwas versteckten aber unbedingt lesens- bzw. schauenswerten Beitrag der WDR-Kollegen von Sport Inside hingewiesen. Da schickt eine rechtsextreme Organisation zum wiederholten Male via eines Kampfsportvereins-Ableger junge Leute zum Sportabzeichen. Die Kollegen des LSB Thüringen versuchen es zu verhindern. Klappt leider nicht, denn man schleicht sich ein. Hinterher präsentiert man das Sportabzeichen stolz auf seiner Homepage. Schlimm genug soweit, wenn man dann aber noch die Kommentare der Unterstützer liest, fällt mir nur noch der Kommentar der Zeit-Kollegin Melan Kiyak zu den Landtagswahlen am Wochenende ein: Kotzanfälle übers Treppengeländer (übrigens auch unbedingt lesenswert).

Der Sport insgesamt, das Turnen aber insbesondere sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein und sich in seiner großen, alten und guten demokratisch-offenen und pluralistischen Tradition mit breiter Brust diesen Idioten entgegenstellen. Denn was diese Idioten wollen ist ein Systemwechsel. Und der betrifft nicht nur die Politik, die Kultur oder Bildung. Er betrifft auch den Sport. Wir sollten wachsam sein.

PS: Heute verzichte ich mal auf ein Bild, denn bei all dem Bildmaterial, dass ich zum Thema finde, geht es mir sofort wieder wie der Zeit-Kollegin im Treppenhaus.


Die Turnwelt und die Tiere

02. September 2019, Innenleben

Ausnahmsweise pünktlich ereilte unser wunderbares Zentralorgan "Turnen in Hessen" gerade meinen Schreibtisch. Mit Blick auf das eigene Geschriebene (schuschreibt, TiH 173, S.6) waren die Tier-Teams im Sport plötzlich wieder virulent, obwohl ich mit dem Befreiungsschlag einer Kolumne gehofft hatte, es auf die Haben-Seite zu bugsieren und so aus Schus eigenartigen Kopfkino zu entfernen. Doch dem ist nicht so.

Schuld daran ist aber nicht die Kolumne selber, auch nicht das selten dämliche Känguru-Bild, das ich an dieser Stelle gerne noch einmal optisch dem geneigten Leser nahe bringen möchte und unbekannten Fotografen auf pixabay gerne noch eine kleine Lobhudelei zukommen lassen möchte. Nein, man sucht ja viel lieber die Schuld bei den Anderen. Und schuld sind diesmal die Kolleginnen aus der Radaktion. Völlig unreflektiert setzen sie meiner These, dass beim Turnen sowieso alles besser ist, die Überschrift eines Rope Skipping-Artikels entgegen. Nur fünf Seiten weiter (TiH 173, S.11) titeln sie das Unfaßbare: "Flying Ropes und Jumping Swans dominieren die Weltspitze".

Nun gut. Dass hessische Rope Skipper Weltspitze sind, diese These vertrete und verbreite ich seit Jahren immer wieder gerne. Insofern gefällt der Titel, untermalt er doch die überragende Sportartenentwicklung in diesem immer noch recht jungen Fachgebiet im HTV. Soweit die Haben-Seite.

Doch ganz wesentlich ins Saldo geriet die Sache hinsichtlich der Namensgebung. So wurde keck von mir in der Turnen in Hessen postuliert, dass man bei den Turnern alles besser macht, insbesondere das mit den passenden Tiernamen - siehe Trampolinverein Kängurus Dauernheim. So. und nun schickt die altehrwürdige Turngemeinde Hanau ihre seilspringenden Mädels zu Titelkämpfen in die norwegische Hauptstadt. Dort sind sie auch noch erfolgreich. Doch: Wie kann das sein? Springende Schwäne sind's, die da um Medaillen kämpften.

Nur - welcher Schwan springt? Fliegen ja, schwimmen genauso gerne, auch segnen sie das Zeitliche (Schwanensee, Tschaikowski), oder dienen als mystisches Zuggefährt (Lohengrin, Wagner). Auch hat man schon von Schwänen gehört, die ihre Kinder beschützend, wohlmeinende Schwimmer attackierten. Aber seilspringend? Da muten doch die Toronto Raptors in der NBA gleichsam (sport)Artengerecht oder die Miami Dolphins als Beispiel sportlicher Biodiversivität an. Aber vielleicht können mich die Skipper aus der Main-Kinzig-Stadt ja aufklären, was sie zu dieser anmutigen, aber exotischen Namenswahl veranlasste... Einen ersten Hinweis fand ich schon bei Wikipadia: "Schwäne haben oft die menschliche Fantasie beflügelt". Offensichtlich auch den sportlichen Erfolg beim Rope Skipping. Oder?


Über die wahre Schönheit des Turnens

26. August 2019, Innenleben

Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, nach unten zu blättern, denn da geht es um starke Frauen, ihre Unterrepräsentanz im Fußball und was sie alles draufhaben – gerade beim Turnen. Stimmt. Aber nur bedingt. Denn erstens bemängelt eine Kollegin: Männer sind nicht zwangsläufig athletischer. Stimmt. Es gibt unterschiedliche körperbauliche Voraussetzungen. Diese wirken aber nicht zwangsläufig nur auf die Athletik. Das sollte nicht nur der Komplettheit zuliebe hier nicht unerwähnt bleiben.

Und auch noch an anderer Stelle wurden Vorwürfe laut, ich solle meine Behauptungen, dass im Turnen alles besser sei in Sachen Gendering, da möge ich bitte doch noch mal ganz genau drüber nachdenken (was mir natürlich grundsätzlich schwerfällt, ich werde mir aber trotzdem Mühe geben).

Huereka, es stimmt. Schon wieder.

Also. Grundsätzlich gilt: Der HTV, wie auch der DTB sind Frauen-Verbände. Sowohl im Hessenland als auch auf Bundesebene verzeichnen Turnvereine ziemlich genau doppelt so viele Frauen wie Männer. Stellt sich die Frage, wie es auf Funktionärs-Ebene aussieht. Um ehrlich zu sein: schlecht. Allenthalben dominieren die Männer die Turnwelt – zumindest wenn es um Funktionen geht. Neun Präsidiumsmitglieder verzeichnet der Hessische Turnverband, fünf Männer, vier Frauen. Der Präsident: ein Mann. Nur einen Hauch besser kommt der DTB daher. Pari-Pari, fünf Männer und fünf Frauen teilen sich die Präsidiums-Sessel, Aber auch hier steht ein Mann dem Gremium vor (was in  beiden Fällen auf keinen Fall persönlich gemeint ist!).

Es ist und bleibt müßig (besonders für einen Mann!!!), über patriachale Strukturen im Sport (oder der Politik oder der Wirtschaft) bzw. über die Rahmenbedingungen für Frauen im sportlichen Ehrenamt zu schwadronieren. JederMann, der irgendwie im 21. Jahrhundert und der aktuellen offenen Gesellschaft in der Bundesrepublik angekommen ist, sollte inzwischen verstanden haben, dass es eine (sport)politische Maxime sein muss, Frauen in exponierten Funktionen zu fördern.

Und einmal abgesehen von der gesellschaftlichen Tragweite und der Verteilung in den Verbänden – Hand aufs Herz: Frauen turnen nun wirklich schöner!

Über die wahre Schönheit des Turnens


Simone Biles for president

12. August 2019, Innenleben

Die Mahnung ließ nicht lange auf sich warten. Kaum ist das Turnfest vorüber, der Urlaub vorbei - schon soll dem siechenden Schublog neues Leben eingehaucht werden. Zumal die Arbeitsbasis für diese Ansammlung digitaler Absonderlichkeiten wiederhergestellt wird. Denn seit neuestem hat die Fokuszeit wieder Einzug gehalten. Die montägliche Fokuszeit gehörte stets dem Blog. Jenes verführerisch ruhige Stündchen, das zu kontemplativen Gedanken einlädt, es ist die Grundlage für das hier Abgesonderte (siehe Blog vom 28.2.19: Das Silicon Valley liegt in der Hasenheide).

Themen haben sich ja auch genug angesammelt. Sogar brandaktuelle und beliebte dazu, die auch noch wunderbare Synergien erzeugen. Da wären zum Beispiel Turnerinnen und Fußballer. Kein ganz neuer Vergleich, aber ein immer wieder beliebter an dieser Stelle. Sie sollen heute aber mal ganz anders beleuchtet werden. Brandheiß nämlich (und ohne irgendwelche Hintergedanken!). Da wäre nämlich der Triple Double der überragenden Ausnahme-Turnerin Simone Biles bei den US-Meisterschaften: Gehockter Doppelsalto mit drei Schrauben am Boden. Wahnsinn. Ein Element, an das sich noch nie zuvor eine Turnerin herantraute, geschweige denn ausführte, und selbst bei den wesentlich athletischeren Turnern nicht gerade zum Standard-Repertoire gehört, um es vorsichtig zu formulieren. Klar, dass dieser Triple Double weltweit medial wie viral durch die Decke ging. Zu Recht.

Und dieses durch die Decke gehen eint die Biles-Übung mit der Top-Sport-Meldung am gestrigen Donnerstag. Fritz Keller wird neuer DFB-Präsident. Einhergehend mit den immer gleichen Plattitüden und Stereotypen ("Hoffnungsträger für den zerrütteten größten Sportverband der Welt"). Um es gleich vorwegzunehmen. Ich finde es eine mehr als interessante und wohlüberlegte Auswahl der Findungskommission. Einer, der offensichtlich eher Genussmensch als Funktionär ist, und im konservativen deutschen Fußball "steht der von ihm geführte SC Freiburg schon seit fast drei Dekaden für das Gute im deutschen Fußball. Ein Klub, der aus wenig viel macht, frei von Skandalen ist, solide wirtschaftet, sich seiner sozialen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung bewusst ist", so zumindest kommentieren es die Kollegen der taz.

Also eine gute Wahl?!? Mitnichten. Denn wenn man wirklich Mut bewiesen hätte, wäre man auf die Suche gegangen nach der deutschen Simone Biles des Fußballs. Denn Simone Biles hat uns gezeigt, wie stark Frauen sind. Und was sie alles draufhaben. Manchmal oder oft sogar einiges mehr als Männer. Bei den Turnern zumindest. Aber warum nicht auch beim größten Sportverband der Welt?


#BEHPPY: Fremdgesteuert

19. Juni 2019, #BEHPPY19, Innenleben

Der Irrsinn hat Methode. Besonders wenn so ein Landesturnfest Fahrt aufnimmt. Es sind unendlich viele Menschen, die herumwuseln, transportieren und schleppen, auf- und umbauen, an- und herumfahren, sich und andere besprechen. Eine besondere Einheit konnte ja gestern abgebildet werden, heute hingegen geht es um das Herz des Turnfestes: das Back Office. Das ist strategisch extrem gut positioniert, direkt mitten im Geschehen gelegen, dabei aber etwas abseits und unscheinbar platziert. Denn es handelt sich um ein profanes Zelt. Immerhin mit Holzboden und liebevoll unter dem schützenden, schattenspenden Blätterdach eines bäumernen Ziergewächses befindlich, dafür aber ohne Strom und Internet. Das hat auch seine Vorteile, denn die Leute, die sich daselbst um den wohlfeilen Fortgang des Turnfestes kümmern, haben ja sowieso ihre Handys, die nutzen sie auch reichlich (und vermutlich würden sie sie am liebsten schon lange in Tonne gekloppt haben….), sind somit mitten drin. Aber so ein Handy und auch so ein Laptop braucht ab und an Steckdosen-Nachschub. Und genau an der Stelle wird ein Schuh draus.

Um sich also die Akkumulatoren jener Geräte mit Energie zu versorgen („Moment Kollege, mein Rechner ist gleich alle...“), muss man sich in die benachbarte zentrale Verpflegungsstelle der Turnfest-Helfer begeben. Das wiederum könnte für den einen oder anderen Konsequenzen haben, würde es doch die Ehre unseres Küchenchefs kränken, sollte es zu Beschwerden über Qualität oder Quantität der feilgebotenen Speisen kommen, was sich in herzhaftem Zulangen dokumentieren sollte. Will heißen: Es mangelt zu keiner Tageszeit an lecker Brötchen, Kaffee (je nach Tageszeit ergänzt um Kekse), Mittag- und Abendessen. Alles reichlich da – und lecker. Das ist für die Arbeitenden gut, denn wenn man schon mal eine Pause einleget, kann man auch gleich die Glykogen-Speicher wieder auffrischen.

Für die Stromsuchenden Arbeitsbienen aus dem Bienenstock des Turnfests bietet sich allerdings ein völlig anderes Bild. Eigentlich haben sie mehr als genug zu tun: Helfer und Fahrzeuge disponieren, Hilfe organisieren, tausende Anfragen bearbeiten. Nun sind sie aber gezwungen, zu essen und zu trinken. In regelmäßigen, viel zu kurzen Intervallen. Fremdgesteuert durch Strommangel. Der Autor dieser Zeilen macht sich Sorgen. Nicht um die eigene Adipositas. Sondern um die der Kollegen im Back Office.

Man darf sich das nämlich sonst eher so vorstellen: Ein Turnfest ist für Mitarbeiter, Helfer, Volunteers nämlich gemeinhin ein Quell der Gewichtsreduktion. Jeden Tag knapp ein Pfund, so der Richtwert. Keine Zeit zu essen, den ganzen Tag in Bewegung, das wirkt Wunder und lässt jede Low-Carb-Diät und alles Intervall-Fasten verblassen. Aber für die Macher im Back Office ist nun das Gegenteil der Fall. Sie sind zum verharren und zur Nahrungsaufnahme gezwungen, nur weil die Akkutechnik noch immer auf dem Stand von vor 30 Jahren stecken geblieben. Bewegungsmangel dank fehlendem technischen Fortschritts. So, jetzt ist aber Schluss, ich habe kaum noch Akku-Laufzeiiiiiitttttt……